Dank der Bemühungen von Alfons Ryćer aus Schönau liegt das Protokollbuch des Gemeinderates Miltitz für die Zeit von 1839 - 1956 der Öffentlichkeit zur Nutzung vor. Manche Kuriositäten und Besonderheiten aus dem Leben der Gemeinde Miltitz birgt die Schrift.
Schon die Wahl des Gemeindevorstandes und des Gemeindeältesten nötigt uns Demokratie-Erfahrenen ein stilles Lächeln ab. Dazu muss man wissen, dass per Beschluss vom 7.11.1838 der Sächsische Landtag, in dem der Adel den Ton angab, alle Gemeinden Sachsens in die politische Selbstständigkeit entlassen wurden. In der Folge endeten damit 1840 alle Frondienste der Miltitzer Bauern für die Domsstiftsherrschaft in Bautzen und für das Kloster in Panschwitz. Am 15.04.1839 wollte sich das Ortsparlament in Miltitz konstituieren. Von 24 Ortsansässigen erschienen 23 zur Wahl, Frauen waren nicht zugelassen. Auf Peter Kutschank als Gemeindevorstand entfielen 9, auf Michael Petranz als Gemeindeältester 10 Stimmen. Die Obrigkeit in Bautzen erklärte die Wahl als ungültig, verlangte doch § 40 des Wahlgesetzes 50 % der Stimmen für einen Kandidaten. Eine Woche später erhielt der Petranz, nunmehr als Vorstand aufgestellt, ausreichend Stimmen, doch nicht der Kutschank als Ältester. Ein 2.Wahlgang am gleichen Tage besserte die Lage nicht. Erst Ende Mai wurde Kutschank Gemeindeältester, verantwortlich für Verwaltungs-, Vermögens-, Rechnungs-, Schulden-, Armen-, Straßen- und Brückenwesen.
In über 100 Jahren selbstständiger Gemeinde herrschte eigentlich immer Ebbe in der Gemeindekasse, doch bedachtsames Wirtschaften und Einfallsreichtum bei der Geldbeschaffung verhinderten stets Arges.
Wege und Straßen wollten unterhalten sein, Bedürftige stellten Unterstützungsanträge oder Entschädigungen für öffentliche Leistungen waren zu vergüten.
Maulwürfe müssen einst eine rechte Plage gewesen sein. 1885 wurde ein gewisser Britzke aus Nebelschütz per Vertrag als Maulwurfsjäger angestellt. Die 110 Mark vermerkte der Rat zwar als teuer, doch kein anderer „Jäger“ habe sich gefunden. Um eine Freibank - ein Verkauf von minderwertigem Fleisch- zum Nutzen der Lieferanten und der Dorfbevölkerung einzurichten, wurde 1901 das Parterre des Gemeindehauses entsprechend umgebaut.
Die Entlohnung des Gemeindevorstands war auch zu erbringen, z.B. erhielt der Gutsbesitzer Nikolaus Pech ab Weihnachten 1912 einhundert Mark Gehalt; ab 1908 durfte er jährlich 12 Mark für Porto und Schreibpapier ausgeben. Ab September 1929 zahlte der Rat dem Schankwirt Peter Scholze für jede öffentliche Gemeindeverordnetensitzung 2 Mark Entschädigung. Weil Johann Schulze, Miltitz Nr.21, ab 1953 die Kartoffelspritze der Gemeinde bei sich unterstellte, erhielt er fortan 25 DM jährlich.
Die uns heute Lebenden erschreckend vorkommende Staatsverschuldung der BRD ist regelrecht ein Nichts gegenüber dem 18 550 Milliarden Mark ausmachenden Fehlbetrag bei der Amtsübergabe des Gemeindevorstehers Pech an Warnatsch im Dezember 1923 – eine Folge der damaligen Inflation.
Der wesentlichste Einnahmeposten war natürlich die Grundsteuer auf Baulichkeiten.
Auch auf geschlachtetes Vieh war eine Abgabe zu leisten und die Schulsteuer diente dem Unterhalt derselben. Der Kaufmann Karl Mietke zahlte eine Ausschanksteuer; laut Ratsbeschluss vom Februar 1905 wurde seine Polizeistunde auf 22.00 Uhr bestimmt.
Aus der Kirschbaumverpachtung erzielte die Gemeinde im gleichen Jahr 37,70 Mark. Ein für 6 Jahre geschlossener Vertrag zwischen der Gemeinde und 12 Miltitzern zur Nutzung von Gemeindeland ergänzte die Kasse um je 72 Mark.
Ab Mai 1914 erhob man 3 Mark Hundesteuer, zehn Jahre später wurde sie auf 9 Goldmark aufgestockt.
Kurios mutet an, dass 1921 die Chronik von einer Radfahrerkarte für 2 Mark kündet. War es gegen den Luxus eines Rades gerichtet oder als Ausgleich für die Straßenabnutzung?
Selbst im Gemeinderat suchte man nach Geldquellen (wohl eher nach einer hohen Sitzungsanwesenheit): Wer ab Juli 1931 zu spät zur Versammlung kam, zahlte 1 Mark; wer unentschuldigt fernblieb 2 Mark.
Eine Geldstrafe von 15 Mark wegen Tierquälerei für den Kutscher Bernhard Noack im August 1928 war sicherlich unbedeutend im Vergleich zur Verpachtung der Fischgewässer oberhalb der Mühle ab 1929 an einen Kamenzer Bürger.
Der Entlastung der Gemeindekasse diente zeitgleich u.a., dass die Wohlfahrtsempfänger des Ortes für öffentliche Arbeiten verpflichtet wurden. So konnte die Gemeindekiesgrube wieder instand gesetzt und ein Gewinn erzielt werden.
Im Folgejahr lehnte der Rat einen Wohlfahrtsantrag von Michael Janke ab, unterbreitete ihm aber ein Angebot als Ortsdiener mit monatlich 10,20 Mark an Vergütung. Da er ablehnte mussten alle anderen Wohlfahrtsempfänger je einen Monat für 5 Mark Dienst als Ortsdiener leisten.
Am 5. März 1956 schließt die Chronik der selbstständigen Gemeinde Miltitz mit einer Tagesordnung, die einzig die Vereinigung mit Dürrwicknitz vorsah. Da sich die Vertreter vom kleineren Ort „bockbeinig“ anstellten, wurde das Anliegen der Versammlung um eine Woche vertagt.
Autor: Helmut Schippel, SZ 24./25.09.11
Durchforscht man die Miltitzer Gemeinderatschronik nach seltenen, heute nicht mehr bekannten bzw. üblichen Berufen, stößt man auf den Maulwurfsfänger, auf den Nachtwächter und den Lumpensammler. Letzterer, in Süddeutschland und Österreich unter Haderlump bekannt, zog durch die Städte und Dörfer und kaufte alte Lumpen auf, um diese an Papiermühlen zu veräußern. Nachdem der Buchdruck erfunden war (1440), wurde immer mehr Papier benötigt. Nicht etwa aus Holz wurde es damals hergestellt, das geschah erst 450 Jahre später. Der Lumpensammler sammelte alles was aus Baumwolle, Leinen, Hanf und Flachs produziert worden war. Seine Lumpenpacken, auch Hader genannt, kauften ihm die Papiermühlen ab. Nach 4 Wochen im Fäulnistrog, langwierigem Zerkleinern der Naturfasern lag endlich ein Brei vor, aus dem dann das Papier „geschöpft“ wurde. Ein Haderlump war aber auch so etwas wie der wandelnde, historische Vorgänger der heute besonders bei Jugendlichen beliebten „Second- Hand- Shops“. Nicht jeder Lumpen landete in der Mühle, manches alte Kleidungsstück veräußerte er auch.
Gegen eine kleine Konzession also gestattete ihm auch der Miltitzer Gemeinderat den kurzzeitigen Aufenthalt im Ort. Ganz geheuer waren diese Menschen den Ansässigen nicht. Die Ausdrücke „So ein Lump“ oder „Er ist ein rechter Haderlump“ leiten sich ab vom geringen Ansehen der Vertreter dieses Standes.
Ausführlicher sei nun berichtet von den Nachtwächtern in Miltitz, ihren Namen lt. der Protokollsitzungen von 1839- 1956, ihrem Verdienst und Besonderheiten ihres Broterwerbs. Auch diese Tätigkeit genoss bei der Bevölkerung wenig Ansehen. Man stelle sich aber vor, tagein tagaus von 22 Uhr abends bis 3 Uhr im und um das kleine Dorf seine Runden ziehen zu müssen und das bei jedem Wetter. Keine anspruchsvolle, doch bestimmt ermüdende, eintönige Tätigkeit. Manches wird der Mann, ausgerüstet mit einer Laterne, einer Tute und einem Spieß, bei seinem einsamen, nächtlichen Marsch durch die Straßen aus dem Familienleben der Miltitzer gewollt oder ungewollt aufgeschnappt haben. Doch wehe, wenn er davon in der Kneipe oder anderweitig Gebrauch machte – der Verlust der Anstellung stand dann auf dem Spiel. Der Nachtwächter besaß dennoch eine gewisse Autorität. Er überwachte die Einhaltung der Sperrstunde, oft zum Ärger ausdauernder Gaststättenbesucher, sollte vor Feuer und Unwetter warnen und durfte sogar wie ein Hilfspolizist für Ruhe und Ordnung sorgen, z.B. Diebe stellen, arretieren und sie der Polizei übergeben.
Durch das Ableben des alten, namentlich nicht erwähnten Nachtwächters bedingt, ernannte der Gemeinderat am 13.04.1856 Nikolaus Scholze zu dessen Nachfolger. Scholze verdingte sich für ein Jahresgehalt von 10 rl. (Taler), 6ngr. (Neugroschen), 1 ¾ Scheffel gutes Korn und 6 Stück weißen Kuchens. Vier Jahre später wurde der Hausbesitzer Peter Rentsch sein Nachfolger mit einem Jahreslohn von 150 Mark. Als seine Pflichten bestimmte der Gemeinderat, nächtens wie oben erwähnt unterwegs zu sein. Zu jeder Stunde musste das Dorf einmal umrundet werden. Aufgegebene Gemeindedienste hatte der Rentsch unentgeltlich zu leisten, doch für jede Wegeleistung wurden ihm je Stunde 10 Pfennige gewährt. Am 29.12.1899 ist der Chronik zu entnehmen, dass dieser Nachtwächter in Rente ging. Gemäß Ratsbeschluss folgte ihm der Gemeindehausbewohner Peter Zschoch, eingestuft als Hilfsbedürftiger, im Amt. Sein Lohn: Vierteljährlich musste jeder Hausbesitzer 60 Pfennig, jeder Hausbewohner 25 Pfennig sowie jeder Gutsbesitzer und jeder Restgutsbesitzer 25 Pfennig zahlen. Die Letzteren mussten zusätzlich Ostern, Pfingsten, zur Kirchweih und zu Weihnachten dem neuen Nachtwächter je einen Kuchen schenken. Fünf Jahre später (1904) wurde Peter Zschoch zur Verbesserung seiner Wohnverhältnisse eine zweite Stube im Gemeindehaus gewährt. Bei einer Jahresmiete von 25 Mark war er allerdings für die Vorrichtung seiner Wohnung selbst verantwortlich. Eine Ziege zu halten wurde ihm erlaubt, jedoch keine Gänse.
Warum nicht, möchte man fragen, wussten doch schon die Römer diese wachsamen Tier zu schätzen. Im Jahre 1906 verstarb der Genannte und erneut musste der Rat die Stelle neu besetzen. Mit 4:1 Stimmen entschied man sich für den Tagesarbeiter Ernst Matthes. Sein Lohn pro Jahr wurde mit 40 Mark plus Naturalien bestimmt. Weil wohl die alte Tute ihren Geist aufgegeben hatte, erhielt dieser Nachtwächter ein neues Exemplar. Sieben Jahre später wurde mit einem Jahreslohn von 120 Mark Nikolaus Schierz Nachfolger von dem Matthes. 1919 erhielt er 200 Mark, drei Jahre später 500 Mark. Ein Stück Gemeindewiese durfte er unentgeltlich nutzen. In den zwanziger Jahren folgte das Entgelt des Nachtwächters der Fieberkurve der allgemeinen Lohnentwicklung in Deutschland. Der letzte Beschlusseintrag des Miltitzer Gemeinderates betreffs eines Nachtwächters datiert vom 16.06.1949. Genannt wird ein gewisser Günter, dessen „Karriere“ einen unrühmlichen Abschluss fand. Der Rat lastete ihm an, mehrere Holzdiebstähle nicht bemerkt zu haben und kündigte ihm. Der allerletzte Nachtwächter war nach Auskunft der Miltitzerin Helgest ein gewisser Gründner. Dieser Umsiedler versah den Dienst bis Anfang der fünfziger Jahre. Seither gibt es diese Beschäftigung auch in Miltitz nicht mehr. Und wie überall in Deutschland geriet der Begriff Nachtwächter in Vergessenheit.
Was blieb, ist die wenig schmeichelhafte Bezeichnung „Du Nachtwächter“.
(Autor: Helmut Schippel)